Weniger Stress durch Selbstbestimmung

Je mehr Selbstbestimmung, desto weniger Stress
Foto: © istockphoto.com/Zinkevych/PePa

Selbstbestimmung hat viele Facetten: Für die eine bedeutet es Freiheit, für den anderen vielleicht Überforderung. Umgekehrt bedeuten Vorgaben von außen entweder Halt oder Einengung. Auf die Dauer löst äußerer Zwang oft seelischen Stress aus. Welche Folgen Selbst- und Fremdbestimmung auf das psychische Wohlbefinden haben, zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage.

Die Mehrheit der Deutschen ist überzeugt: Wir haben heute gesamtgesellschaftlich mehr Selbstbestimmung, sind freier in Entscheidungen und der Lebensgestaltung als vor 30 Jahren. Das ergab eine repräsentative Umfrage im Auftrag von Weleda*. Danach findet ein gutes Drittel der Befragten (37 Prozent), dass wir 2022 „etwas selbstbestimmter" leben, und 47 Prozent sagen sogar „deutlich selbstbestimmter“.

Allerdings gibt es dabei offenbar eine Diskrepanz zwischen dem beruflichen und privaten Bereich: Während 68 Prozent voll und ganz zustimmen, im Privatbereich viele eigene Entscheidungen treffen zu können, geben dies nur 28 Prozent für den Job an. Dennoch fühlen sich 44 Prozent durch die Vorgaben ihres Arbeitgebers gar nicht, weitere 35 Prozent nur wenig gestresst.

Entscheidend ist private Selbstbestimmung

Die Selbstbestimmung im Privatleben hat für die Menschen also offenbar einen sehr hohen Stellenwert. Für eine selbstbestimmte Freizeit stehen 49 Prozent pro Woche mindestens sechs Stunden zur Verfügung. 33 Prozent können über acht Stunden mit Aktivitäten ganz nach Lust und Laune verbringen. Doch eine:r von zehn Befragten hat pro Woche weniger als zwei Stunden Zeit für sich. Frauen geben dies mit 13 Prozent mehr als doppelt so häufig an wie Männer. Alles in allem aber bewerten die Deutschen das Ausmaß der Selbstbestimmung offenbar positiv: Nur 3 von 100 sind „sehr unzufrieden“ mit ihrem Leben, über drei Viertel (79 Prozent) sind nach eigener Aussage mindestens „eher zufrieden“.

Auf Platz 1 der fremdbestimmten Faktoren, von denen sich die Menschen stark gestresst fühlen, liegt die wirtschaftliche Situation (Stichwort steigende Preise) mit 67 Prozent. Nachrichten von Krieg und Umweltzerstörung überfordern fast genauso viele (62 Prozent). Der Hälfte der Bevölkerung machen bürokratische Vorgaben sowie Einschränkungen durch höhere Gewalt - wie etwa die Pandemie - zu schaffen. Während negative Nachrichten und starre Behörden über alle Altersgruppen hinweg zu Frust führen, belasten feste Termine, gesellschaftliche Normen oder auch das Gefühl, etwas zu verpassen, die Jüngeren (18–39 Jahre) besonders stark. Gleichzeitig scheint die Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen von zu viel Selbstbestimmung am ehesten überfordert zu sein: 28 Prozent von ihnen geben an, freie Strukturen und flexible Zeiteinteilung als stressig zu empfinden – gegenüber 17 Prozent im Gesamtdurchschnitt.

Fremdbestimmung führt oft zu Unruhe und Gereiztheit

Psychobiologisch ist der Kontrollverlust durch Fremdbestimmung ein zentraler Stressfaktor: Das Gefühl, einer Situation nicht Herr zu sein, versetzt uns in Alarmbereitschaft. Dass akuter Stress unwillkürlich auch körperliche Reaktionen hervorruft, ist evolutionsbiologisch begründet: Durch Ausschüttung von Stresshormonen macht sich unser Organismus für Kampf oder Flucht bereit. Auch wenn bedrohliche Situationen heute nicht mehr durch die Begegnung mit wilden Tieren entstehen, hat sich die Stressreaktion kaum verändert. So lässt sich etwa das Herzrasen vor einer wichtigen Präsentation erklären.

25 Prozent der Deutschen reagieren in Situationen des Kontrollverlusts nach eigener Angabe oft mit Unruhe, Gereiztheit oder schlechter Laune. Bei fast ebenso vielen (23 Prozent) beginnen die Gedanken zu kreisen. Über Angstgefühle und anschließende Probleme beim Ein- oder Durchschlafen berichten je 11 Prozent.

Positiv Denken eröffnet Handlungsspielräume 

Wenn die Deutschen zur Linderung stressbedingter Beschwerden auf rezeptfreie Arzneimittel aus der Apotheke zurückgreifen, achten sie vor allem darauf, dass keine Gefahr der Abhängigkeit besteht. Jeweils gut einem Drittel ist wichtig, dass das Präparat Wirkstoffe aus der Natur enthält und keine Tagesmüdigkeit verursacht. 30 Prozent wünschen sich, dass es ausgeglichen macht und so einen guten Schlaf fördert. Jede:r Fünfte bevorzugt ein Arzneimittel, das die Selbstheilungskräfte anregt.

Insgesamt versucht die Mehrzahl der Befragten, einem Kontrollverlust nicht mit Passivität und Ohnmachtsgefühlen zu begegnen, sondern mit einer positiven Einstellung und kognitiven Strategien, um das Beste aus der Situation zu machen. Hierbei sei die sogenannte Selbstwirksamkeit sehr wichtig, sagt Professorin Dr. Sonia Lippke: „Wer das Gefühl hat, dass er bzw. sie nichts selbst beeinflussen kann und immer wieder schlechte Erfahrungen macht, der fühlt sich frustriert. Im schlimmsten Falle entwickelt sich eine sogenannte gelernte Hilflosigkeit oder Depression", so die Leiterin der Abteilung Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Jacobs University Bremen. „Deswegen ist es ganz wichtig, auch in schwierigen Situationen noch kleine Handlungsspielräume zu erhalten. Viele Menschen haben beispielsweise gelernt, dass bei einer Quarantäne immer noch kleine Entscheidungen wichtig sind, wie etwa wann aufstehen oder essen, welche Filme anschauen oder wie Freunde kontaktieren. Da kann man sich dann immer noch sehr selbstwirksam fühlen, weil man an den Zielen selbst festhält und diese trotz all der Unwägbarkeiten erreichen kann.“

 

*Weleda Trendforschung 2022, repräsentative Umfrage im Auftrag von Weleda. Stichprobe: 1.002 Personen der deutschen Bevölkerung ab 18 Jahren. Bilendi GmbH. Befragungszeitraum: 22.-28.07.2022. Erhebungsart: online.