Dissoziative Identitätsstörung:
Ein Spreewaldkrimi klärt auf

Im Spreewaldkrimi mit Friederike Becht geht es um das Thema dissoziative Identitätstörung
Foto: © ZDF/Armin Thomaß

Im Spreewaldkrimi "Die siebte Person" wird ein Ferienhaus in Brand gesetzt, und ein Politiker wird ermordet. Kommissar Krüger sucht auf verschiedenen Wegen Brandstifter und Täter. In einer psychiatrischen Klinik begegnet er der Patientin Maya Wiechmann. Sie hat eine dissoziative Identitätsstörung. Was bedeutet das?

Die Rolle der Maya Wiechmann im Spreewaldkrimi "Die siebte Person“ (ZDF, 30.1.23*) spielt die Schauspielerin Friederike Becht. Maya hat eine dissoziative Identitätsstörung (kurz DIS). Näheres zu dieser psychischen Erkrankung erklärt Michaela Huber im folgenden Interview. Die Psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in Traumatherapie hat als Expertin die Dreharbeiten bei dem Krimi unterstützt.

Frau Huber, was bedeutet die Diagnose "dissoziative Identitätsstörung"? Wie äußert sich diese Krankheit bei den betroffenen Personen?

Eine multiple Persönlichkeit oder dissoziative Identitätsstörung, abgekürzt DIS, entsteht durch langjährigen extremen Stress, meist Vernachlässigung, Verwahrlosung und Gewalt seit frühester Kindheit. Dabei wachsen die Verhaltenszustände eines Kleinstkindes nicht zu einem zusammenhängenden Alltags-Ich zusammen, sondern das Kind „ist“ je nach Situation „jemand“, passt sich also an unterschiedlichste stressreiche Situationen an. Wenn diese Verhaltenszustände sich nicht integrieren, weil es keinerlei sicheres Bindungsangebot gibt, entsteht eine multiple Persönlichkeit. Was erst ein Anpassungsmechanismus war an unerträgliche Lebenssituationen, wird später zu Leid, denn dadurch hat die Person immer wieder Gedächtnislücken für das, was die anderen Teilpersönlichkeiten getan haben, hört diese innerlich als Stimmen und muss sich extrem bemühen, nach außen wie „eine einzige Person“ durchzugehen.

Wen betrifft das Krankheitsbild dissoziative Identitätsstörung? Und wie sehr sind Betroffene in ihrem (Berufs-) Alltag eingeschränkt?

Eine dissoziative Identitätsstörung kann jedes Kind bekommen, das eine Fülle von Situationen wie Schocks, Verlusterfahrungen, Verlassenheit, körperliche, seelische, sexuelle Gewalt erfährt und dem niemand hilft. Später kann es „Berufs-Teilidentitäten“ geben, die bestimmte Funktionen wie Schreiben am Laptop, sich mit anderen Menschen unterhalten, spezifische Berufstools anwenden bzw. ausfüllen können – ohne von anderen alltäglichen Dingen wie Einkaufen, Kochen, Essen oder inneren Vorgängen, wie schlimme Erinnerungen, eine Ahnung zu haben. Manche können sich lange unauffällig verhalten, leiden aber unter Schlafstörungen, Alpträumen, Gedächtnislücken, Entfremdungserlebnissen, unerklärlichen Schmerzzuständen etc.

Sie haben den Regisseur, den Autor und Friederike Becht vor und während der Dreharbeiten unterstützt. Wie lief die Zusammenarbeit ab?

Regisseur, Drehbuchautor und Schauspielerin haben mich mit Fragen gelöchert, um zu verstehen, wie ein Mensch mit dissoziativer Identitätsstörung lebt, denkt, fühlt, agiert. Wir haben uns zu mehreren Zeitpunkten während der Arbeit am Drehbuch und den Dreharbeiten per Zoom oder Telefon verabredet, und ich hatte den Eindruck, dass diese Zusammenarbeit nicht nur mir große Freude gemacht hat, sondern dem Spreewaldkrimi-Team auch Erkenntnisgewinn gebracht hat.

Welche Tipps konnten sie Friederike Becht für ihre Rolle geben?

Sie weiß selbst am besten, wie sie die Rolle anlegt, sie ist ja eine wunderbare Schauspielerin. Es kam eher darauf an, sich die innere Zerrissenheit, Unsicherheit und den Wechsel von „kleinen“, pubertären und „großen“ Persönlichkeitsanteilen vorstellen zu können.

Maya Wiechmanns Identität wechselt zwischen ihren unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen. Wann passieren solche Switches, und welche Trigger können sie auslösen?

Wechsel der Persönlichkeitsanteile werden ausgelöst durch starke Reize, mit denen der Anteil, der gerade „vorn“ oder „draußen“ im Bewusstsein ist, der den Körper benutzen kann und nach außen agiert, nicht fertig wird und daher eine andere Teilpersönlichkeit „auf den Plan ruft“.

Der Flüsterer ist eine Persönlichkeitsabspaltung bei Maya Wiechmann, die mit negativer, aggressiver Energie aufgetankt ist. Andere Abspaltungen widersetzen sich seinem Einfluss. Finden solche Auseinandersetzungen im Inneren statt oder haben sie auch eine äußere Ebene?

Das Entscheidende spielt sich innen ab. Manches davon kommt bis nach außen, aber keineswegs alles. Die im Innern streitenden oder sich anderweitig äußernden Stimmen der anderen Anteile machen den Großteil der Auseinandersetzungen aus.

Sie haben den Spreewaldkrimi schon gesehen. Wie authentisch ist die Darstellung der DIS in diesem Film?

Ich finde, es ist gut gelungen, die Verzweiflung und Verunsicherung der Protagonistin und manche ihrer Innenanteile deutlich werden zu lassen.

 

*Den Film "Spreewaldkrimi – Die siebte Person" strahlt das ZDF am 30. Januar 2023 um 20:15 Uhr aus. Der Krimi ist bereits eine Woche vor der Ausstrahlung in der ZDFmediathek verfügbar.