Einsamkeit: Wenn Beziehungen immer wieder scheitern
Unter Einsamkeit leiden zunehmend mehr Menschen. Befragungen zufolge fühlt sich jede siebte Person in Deutschland einsam. Soziale Isolation kann viele Gründe haben - eine mögliche Ursache sind ungünstige Verhaltensmuster bei der Gestaltung von Beziehungen. Diese persönlichen Faktoren führen dann zu frustrierenden Kontaktabbrüchen. Wie kommen Betroffene aus der Einsamkeitsfalle heraus?
Einsamkeit ist nicht nur ein schmerzhaftes Gefühl – sie kann auch krank machen. „Einsamkeit geht mit einem Verlust an Lebensjahren einher“, sagt Professor Dr. med. Hans-Christoph Friederich, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) und Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg. Bei chronisch einsamen Menschen sei das Sterblichkeitsrisiko um etwa 30 Prozent erhöht.
Doch während Alleinsein selbstgewählt und Isolation unverschuldet ist, spielen bei Einsamkeit häufig ungewollt persönliche Faktoren eine Rolle. Das ist beispielsweise der Fall bei einem altruistischen, aufopfernden Beziehungsmuster, das die sogenannten „hilflosen Helfenden“ leben. „Sie sind darauf fixiert, sich um andere zu kümmern und eigene Interessen zurückzustellen“, erläutert Friederich. „Dahinter steht meist die Sorge, nicht anerkannt zu werden – häufig eine Prägung aus der Kindheit, sich die Anerkennung der Eltern erarbeiten zu müssen.“
Helfen ist gut – dabei aber eigene Bedürfnisse nicht vergessen
Doch statt Zuneigung erleben die Helfenden oft Zurückweisung. „Ihr Gegenüber fühlt sich dominiert oder verpflichtet – und reagiert mit Verärgerung oder Rückzug“, schildert Professor Friederich weiter. Es sei hilfreich nachzufragen, warum sich andere zurückziehen, rät der DGPM-Experte. Auch sei es wichtig, andere Verhaltensweisen in der Beziehung anzubieten. „Den anderen nicht verwöhnen, sondern sich für die eigenen Bedürfnisse einsetzen. Oder vom Gegenüber etwas erwarten und die Erfahrung machen, wie er/sie reagiert“, zählt Friederich sinnvolle Alternativen auf.
Ein anderes Muster lebt der „Philobat“. Der aus dem Griechischen stammende Begriff beschreibt Menschen, die enge Bindungen meiden. „Sie haben Angst vor Nähe und ein großes Bedürfnis nach emotionaler Unabhängigkeit“, berichtet Professor Friederich. „Sie wurden in früher Kindheit sehr enttäuscht und wollen nie wieder so verletzt werden.“ Wünscht der Partner oder die Partnerin mehr Nähe, ist die Beziehung gefährdet. „Dann werden bewusst Konflikte inszeniert, um wieder Distanz herzustellen“, erläutert Friederich. Für diesen Typus sind Fernbeziehungen ideal. Auch in der Sexualität sind Philobat*innen Grenzen gesetzt. „Aus Angst vor Verschmelzung können sie tiefe Intimität nicht leben“, sagt Hans-Christoph Friederich. Daraus resultieren häufig sexuelle Probleme. Ein Lösungsweg: Herausfinden, was die Angst vor Zurückweisung erklärt. „Um dann das Verhalten zu ändern und Neues auszuprobieren.“ Ermutigung, mehr Nähe zu riskieren, sei angebracht. „Man kann ja jetzt Zurückweisung anders verarbeiten als in der Kindheit, man hat die Erfahrung gemacht, dass man gut allein leben kann“, so der Experte.
Selbstgerecht in die Einsamkeit
Mit vielen Beziehungsabbrüchen sehen sich darüber hinaus Menschen konfrontiert, die ausgeprägte selbstgerechte Züge tragen – sie suchen die Schuld vorwiegend bei anderen und verleugnen ihre Anteile. Die anderen würden betrügen und nur ihre Vorteile suchen, lauten häufige Vorwürfe. „Es gibt Menschen, die schreiben sich haarklein auf, was der andere falsch gemacht hat – und zählen das immer wieder auf“, berichtet der DGPM-Vorsitzende. Die Folge sind erbitterte Streitereien, bis es zum Bruch kommt.
Problembehaftet ist auch das sogenannte Don-Juan- oder Lolita-Muster. „Solche Personen sexualisieren alles, weil sie auf Anerkennung angewiesen sind“, betont der Ärztliche Psychotherapeut. Doch ständiges Fremdflirten ist für die Beziehungsperson schwierig – Eifersucht kommt ins Spiel, Konflikte entstehen. Ebenfalls nicht einfach zu handhaben sind Narzissten. „Sie wollen stets brillieren und entwerten dabei das Gegenüber, um sich zu erhöhen“, erklärt Friederich. Für Narzissten sind Menschen wie Trophäen. „Sie setzen sich enorm ein, um sie zu gewinnen – aber dann langweilen sie sich, und etwas Neues muss her“, so der Heidelberger Professor.
Ansätze zur Lösung: Einzel- oder Gruppenpsychotherapie
Doch egal, welche Muster gelebt werden, es gilt: Brechen immer wieder unfreiwillig Kontakte ab, ist eine Psychotherapie angeraten – mit dem Ziel, ungünstige Interaktionen zu identifizieren und zu bearbeiten. „Das geht am besten mit jemandem, der von außen darauf schaut“, sagt Hans-Christoph Friederich. „Denn die Betroffenen selbst sind ja meist blind für die eigenen Verhaltensmuster.“ Dies geschieht entweder in Einzelsitzungen oder in einer Gruppe, die von einem Therapeuten oder einer Therapeutin angeleitet wird.
In der Einzeltherapie hat es sich bewährt, konkrete Beziehungsepisoden zu schildern, gemeinsam zu analysieren („Circumplexmodell“) und vor der persönlichen Biographie und frühkindlichen Bindungserfahrungen zu reflektieren. „Muster zeigen sich aber auch gut in Gruppen“, sagt der Experte. „Denn dort können sich Konflikte reinszenieren, und man erhält in einem geschützten Raum Rückmeldungen, wie andere einen wahrnehmen.“ Gruppenpsychotherapie zur Beziehungsgestaltung kann über die gesetzliche Krankenkasse abgerechnet werden.