Im Lockdown auch das Positive sehen
Wie hat sich der Lockdown im Frühjahr auf die Menschen ausgewirkt? Nicht nur negativ, ergab eine repräsentative Untersuchung: Viele Befragte fanden die erzwungene Entschleunigung gar nicht schlecht – und erlebten eine neue Form von Nähe in ihrem engsten Umfeld.
Die Weleda Trendforschung 2020 fragte über 1.000 Bundesbürger, wie sich der Lockdown von März bis Mai auf Gesundheit und Psyche ausgewirkt hat. Das Ergebnis: Die Menschen fühlten sich insgesamt zwar stärker seelisch und körperlich belastet, konnten dem Lockdown aber auch Positives abgewinnen.
Knapp jeder fünfte Befragte gab an, stark oder sehr stark unter den Herausforderungen während des Höhepunkts der Corona-Pandemie gelitten zu haben. Dabei traten vor allem Stresssymptome wie Unruhe, Nervosität, Angst, Konzentrationsschwierigkeiten oder Gereiztheit auf. Genannt wurden aber auch körperliche Beschwerden wie Magenschmerzen, Verdauungsbeschwerden und Herzrasen.
Weniger äußere Zwänge
Ein besonderer Einschnitt war der neue Alltag im Homeoffice. 47 Prozent der Menschen, die zu Hause arbeiteten, fühlten sich dadurch gestresst. Die Umstellung durch das Homeoffice im Lockdown ist natürlich auch enorm: Das Büro befindet sich plötzlich am heimischen Esstisch, Wohn- und Kinderzimmer verwandeln sich in Schule oder Kita, das Sozial- und Berufsleben spielt sich in den eigenen vier Wänden ab.
Der Alltag hat sich verändert, aber nicht nur negativ: 57 Prozent der Befragten gaben an, wieder zu ihrem eigenen inneren Rhythmus gefunden zu haben. Sie fühlten sich weniger durch starre Strukturen wie feste Arbeitszeiten, Termine oder den Arbeitsweg von außen getaktet. 72 Prozent nutzten die Zeit, Dinge zu tun, die sie sonst nicht schaffen. Mehr als die Hälfte der Befragten sagte, etwas getan zu haben, was sie erfüllt. Immerhin 51 Prozent haben sich ausgeglichen und gut gefühlt.
Mehr Zeit in der Natur
Eine positive Einstellung und eine persönliche Strategie zur Stressbewältigung befähigen Menschen, mit Herausforderungen in Krisenzeiten besser umzugehen. So haben 58 Prozent so oft wie möglich Zeit in der Natur verbracht. „Mir ist aufgefallen, dass viele Menschen sich auch gerne mal zurückgezogen haben, aber dann auch bewusst wieder rausgegangen sind – insbesondere in die Natur“, sagt die Professorin Dr. Sonia Lippke, Leiterin der Abteilung Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Jacobs University Bremen. „Rückblickend finde ich es beachtlich, dass wir zum Beispiel beim Laufen genauso gut reden können wie beim Kaffee oder Wein. Das ist auch eine Bereicherung.“
Shoppen mit der besten Freundin, Kaffeeklatsch mit Oma oder kicken im Fußballverein: Unsere persönlichen sozialen Kontakte haben im Lockdown gelitten. Insgesamt haben sich 39 Prozent der Deutschen deshalb mindestens einmal pro Woche einsam gefühlt – bei den unter 30-Jährigen waren es sogar 62 Prozent. „Jüngere Menschen wurden stärker aus ihrem Alltag geworfen und haben auch mehr versucht, den Kontakteinschränkungen entgegenzuwirken -durch mehr Telefonieren, häufigere private Videocalls, verstärkte Nutzung von sozialen Netzwerken“, sagt Sonia Lippke. „Vielleicht hat dabei die Erkenntnis stattgefunden, dass Facebook-Freunde zwar auch echte Freunde sein können, aber man sich auch mal wieder in Echt treffen sollte. Wenn das nicht möglich ist, dann macht das viele traurig.“
Im Lockdown reden die Menschen mehr miteinander
Die Ergebnisse der Trendstudie zeigen aber auch, dass wir unserem engsten sozialen Umfeld näher sind als zuvor. Die Deutschen haben soziale Beziehungen mehr schätzen gelernt (69 Prozent), sind enger zusammengewachsen und haben mehr Halt erfahren (64 Prozent). Auch die Kommunikation ist intensiver geworden: 60 Prozent stimmen zu, mehr miteinander zu reden als vor Corona. Manchmal hat die neue Nähe allerdings nicht nur positive Seiten: Bei jedem Fünften gab es durch das dauernde Zusammensein mehr Streit.