Integrative Onkologie: Der Patient im Mittelpunkt
Die Diagnose Krebs ist ein Schock, betroffene Patienten sind unsicher und verängstigt. Werden ihre Sorgen vom Arzt ernst genommen und können sie ihm voll vertrauen, wirkt die Behandlung besser. Auf dieser Erkenntnis basieren ganzheitliche Therapiekonzepte wie die integrative Onkologie.
Die integrative Onkologie verfolgt das Ziel, krankheits- und therapiebedingte Beschwerden zu reduzieren und Selbstheilungskräfte zu stärken. Statt also nur den Krebs zu behandeln, berücksichtigt die integrative Onkologie den Patienten im Zusammenspiel seiner körperlichen, sozialen, geistigen und seelischen Lebensbereiche, die durch die Krebserkrankung beeinträchtigt sind. Das hat mit dazu beigetragen, dass die Zahl der Langzeitüberlebenden in Deutschland heute bei fast allen Krebsarten deutlich höher ist als noch vor zehn Jahren.
„Ein Arzt sollte den Patienten mit all seinen Facetten sehen und seiner Individualität durch eine ganzheitliche Behandlung gerecht werden“, so Dr. med. Birgit Stolze, Fachärztin für Innere Medizin. Wir sprachen mit Frau Dr. Stolze über ihre Erfahrungen mit der integrativen Onkologie.
Was die integrative Onkologie leistet
Welchen Einfluss hat der Patient auf die Wahl der Therapie?
Dr. Birgit Stolze: Zunächst sind die Patienten nach der Krebsdiagnose geschockt und brauchen eine Hilfestellung und Anleitung durch den Arzt. Dabei ist es wichtig, den Patienten mit seinen Sorgen und Ängsten, die die Diagnose mit sich bringt, abzuholen. Nur durch diesen Schritt kann Vertrauen aufgebaut werden, das für die weitere Therapiezeit unabdingbar ist. Eine gute Aufklärung ist genauso wichtig – wie auch für manche Patienten die Möglichkeit, eine zweite Meinung zu hören. Für einige Patienten kann auch der Kontakt mit Selbsthilfegruppen hilfreich sein. So informiert, kann der Betroffene sich für die Therapien und Therapeuten entscheiden, die ihm zusagen. Ziel sollte dabei immer sein, die Individualität des Patienten auch in einer ganzheitlichen Behandlung widerzuspiegeln.
Wie lassen sich ergänzende komplementäre Therapien sinnvoll mit einer konventionellen Krebstherapie kombinieren?
Dr. Birgit Stolze: Von allen komplementären Therapieansätzen gehört die Misteltherapie zu den am besten untersuchten Maßnahmen. Da die Misteltherapie das Immunsystem des Patienten stärken und somit die Nebenwirkungen einer Chemotherapie abmildern kann, nutzen wir sie oft parallel zur Chemotherapie. Auch die Anwendung der Hyperthermie erscheint bei vielen Krebserkrankungen, welche zu Organmetastasen geführt haben, sinnvoll. Dabei wird über die Haut Wärme auf das betroffene Organ appliziert, mit dem Ziel, die Tumorzellen zu schädigen. Wird parallel eine Chemotherapie durchgeführt, kann sich deren Wirkung durch die verbesserte Durchblutung des Organs verstärken.
Welche Wirkung ist zum Beispiel bei der Misteltherapie zu erwarten?
Dr. Birgit Stolze: Eine Mistelbehandlung stärkt das Immunsystem. In der Fachliteratur wird beschrieben, dass sich unter der Misteltherapie Nebenwirkungen von anderen Krebstherapien verbessern können, zum Beispiel das gefürchtete Müdigkeits- und Erschöpfungssyndrom Fatigue, dass sich weiterhin die Blutwerte schneller erholen und insgesamt ein besseres Wohlbefinden erzielt werden kann. Einsetzbar ist die Mistel bei soliden Tumoren, vor allem bei Brust-, Eierstock-, Lungen- und Darmkrebs.
Tragen gesetzliche Krankenkassen die Kosten für komplementäre Therapien?
Dr. Birgit Stolze: Die Misteltherapie wird im palliativen Bereich erstattet, wenn also keine Heilung der Krebserkrankung möglich ist, aber der Patient noch lange mit der Erkrankung leben kann. Im adjuvanten Bereich (die Behandlung erfolgt zur Verhinderung eines Rückfalls nach geheilter Krebserkrankung) kann sie in Einzelfällen von den Kassen erstattet werden.
Bezüglich der Hyperthermie wird diese in Kombination mit Chemotherapie in Einzelfällen von den Kassen übernommen.
Welche Therapien sind darüber hinaus aus Ihrer Sicht wichtig?
Dr. Birgit Stolze: Es ist absolut sinnvoll, dass jeder Therapieplan auch ein Bewegungsmodul enthält. Körperliche Betätigung, individuell an den Einzelnen angepasst, kann helfen, die Belastungen zu reduzieren. Auch ist eine ausgewogene Ernährung ein wichtiger Baustein für die Stärkung der Ressourcen. Darüber hinaus leistet die Psychoonkologie wertvolle Hilfe, um wieder Struktur und Stabilität ins Leben der Patienten zu bringen. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass durch Gesprächs-, Kunst- und Musiktherapie mit der belastenden Situation besser umgegangen werden kann.