Verwirrt nach der Narkose

Jedes Jahr müssen bei uns rund 15 Millionen Menschen unter Narkose operiert werden. Ungefähr jeder fünfte Patient leidet danach an Orientierungsstörungen – zum Glück meist nur vorübergehend. Vor allem Ältere sind betroffen.

Frau im Krankenbett wird befragt.

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So mancher Besucher bekommt am Krankenbett erstmal einen Schreck. Zwar ist die Operation gut gelungen, doch erscheint der frisch aus der Narkose Erwachte irgendwie „neben der Spur“. Auf Ansprache reagiert er desorientiert und ziemlich verwirrt. Manchmal weiß er nicht, warum er sich im Krankenhaus befindet oder welcher Tag es ist. Auch Wahnvorstellungen oder Halluzinationen können auftreten.

„Delir“ nennen Mediziner diesen Zustand oder auch „Durchgangssyndrom“, weil es sich meist um eine vorübergehende Bewusstseinsstörung nach der Operation handelt. Sie tritt besonders im höheren Alter verstärkt auf, speziell bei gebrechlichen Patienten mit vielen Vorerkrankungen. 30 bis 40 Prozent der über 60-Jährigen zeigen nach der Operation Symptome, die an eine Demenz erinnern.

Überaktiv oder apathisch nach der Narkose

Manchmal tritt das Delir direkt nach dem Erwachen aus der Narkose auf, manchmal Stunden später oder sogar erst nach Tagen. Auch die Symptome können sich in ihrer Art und Ausprägung stark unterscheiden. Zwei Formen sind typisch:

– Entweder sind die Patienten sehr erregt und aktiv, dabei aber desorientiert: Sie versuchen zum Beispiel, Infusionsschläuche oder Verbände zu entfernen, bis hin zur Bettflucht;

– oder sie entwickeln das „hypoaktive Delir“, bei dem der Patient völlig in sich versunken und kaum ansprechbar ist. Er sucht von sich aus keinen Kontakt zur Außenwelt, rührt sich kaum und kann zudem von Halluzinationen heimgesucht werden.

Die Symptome können auch tageszeitabhängig auftreten und sich zum Beispiel abends verstärken. Der Zustand hält meist nur ein paar Tage an, manchmal aber auch Wochen.

Erhöhtes Risiko bei großen Operationen

Beim postoperativen Delir spielen mehrere Faktoren zusammen. Als Risikofaktoren gelten ein hohes Alter der Patienten, außerdem Vorerkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck. Außerdem scheinen Männer dafür anfälliger zu sein als Frauen. Eine entscheidende Rolle spielt auch die Art der Operation und Narkose.

So gehen große Operationen – zum Beispiel am Herzen, bei Oberschenkelhalsbruch oder Gelenkersatz – mit großem Risiko einher. Wissenschaftler vermuten, dass gerade bei älteren Menschen mit diversen Erkrankungen minimale Entzündungsprozesse im Gehirn ablaufen und ihr Immunsystem deshalb ständig in Alarmbereitschaft ist. Eine Operation ist mit sehr viel Stress verbunden und könnte das Immunsystem zu einer überschießenden Abwehrreaktion provozieren.

Sorgsame Überwachung nach der Operation

Ein Delir kann schwerwiegende Folgen haben und das Risiko, binnen eines halben Jahres nach der Entlassung zu sterben, um das Dreifache erhöhen. Auch das Risiko von Langzeitschäden und Pflegebedürftigkeit verdoppelt sich. Deshalb ist eine sorgsame Überwachung der geistigen Verfassung vor und nach der Operation sehr wichtig. Doch nicht immer geht das Delir mit auffälligen Symptomen einher – es kann dann leicht übersehen werden. Deshalb gibt es Checklisten für das Krankenhauspersonal, die vor der Narkose und nach der OP im Aufwachraum abgefragt werden sollten.

So können Ärzte und Pflegekräfte beim Patienten die geistige Verfassung vor und nach der OP vergleichen und Alarmsignale erkennen. Auf der Intensivstation reichen solche Fragebögen nicht aus. Dort sind umfangreichere Tests nötig, um die geistige Verfassung zu überprüfen und im Bedarfsfall mit Medikamenten gegenzusteuern. Denn auf der Intensivstation fallen 80 Prozent der Patienten an einem Beatmungsgerät ins Delir. Stress steigert das Risiko: verwirrte Patienten, die nicht mehr wissen, wo sie sind, geraten unter besonders hohen Stress – ein Teufelskreis.

Angehörige und Freunde helfen

Nach einer Operation im Krankenbett aufzuwachen und dann in ein vertrautes Gesicht zu blicken, das kann den Stress erheblich verringern. Außerdem können Angehörige und Freunde am besten erkennen, ob alles mit dem Patienten im Lot ist – sie sollten Auffälligkeiten unbedingt sofort dem Arzt mitteilen. Sorgen Sie auch dafür, dass der Genesende gleich seine Brille, sein Hörgerät oder andere vertraute Dinge zur Hand hat. Ein Bild von den Lieben auf dem Nachtisch hilft bei der Orientierung und gibt Sicherheit.

Sehr wichtig ist auch eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Sorgen Sie dafür, dass der Bettlägerige genügend trinkt. Das Krankenhauspersonal hat oft nicht die Zeit, immer darauf zu achten. Flüssigkeitsmangel verstärkt jedoch die Verwirrtheitszustände. Deswegen sollten Patienten schon vorbeugend vor der OP so viel Wasser, Fruchtschorle oder Tee trinken, wie ärztlich erlaubt ist. Regelmäßige Besuche helfen den Verwirrten auch, aus dem Delir wieder herauszufinden. Treffen Sie im Krankenhaus keine übereilten Entscheidungen zur Wahl eines Pflegeheims. Besser ist eine situationsgerechte Beratung durch den Sozialdienst der Klinik.