Kann medizinisches Cannabis Schmerzen lindern?
Ärzte dürfen seit drei Jahren medizinisches Cannabis verordnen. Wir fragten den Schmerzmediziner Dr. Michael Überall, in welchen Fällen Cannabis wirklich helfen kann.
Privatdozent Dr. Michael Überall ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin und Präsident der Deutschen Schmerzliga.
Herr Dr. Überall, bei welchen Problemen hilft Cannabis?
Medizinisches Cannabis kann viele Probleme lindern. Beispiele sind: neuropathische Schmerzen, Schmerzen bei Gelenk- und Tumorleiden, Spastik bei Multipler Sklerose (MS), Chemotherapie-bedingte Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit, Kachexie (ausgeprägter Gewichtsverlust, z.B. bei Krebs oder AIDS), entzündliche Darmerkrankungen, Tic-Störungen, Tourette-Syndrom, ADHS, Restless Legs Syndrom (RLS) und Morbus Parkinson.
Welcher Patient darf medizinisches Cannabis als Schmerzmittel verwenden?
Seit dem 10. März 2017 dürfen Ärzte Cannabis als Medizin verordnen – und das bei jeder beliebigen und von Mediziner und Patient vereinbarten Erkrankung! Möchte man sich die Kosten von der gesetzlichen Krankenkasse erstatten lassen, muss der Patient nach § 31 Abs. 6 SGB V unter einer sogenannten schwerwiegenden Erkrankung leiden. Etablierte und allgemein anerkannte Therapien darf es entweder nicht geben oder aber sie haben keine Wirkung gezeigt oder ihr Einsatz war kontraindiziert. Zudem muss dargelegt werden, worauf sich die die Aussicht gründet, dass sich Cannabis positiv auf den Krankheitsverlauf oder schwere Symptome auswirken kann. Vor der ersten Verordnung muss der Antrag auf Übernahme der Behandlungskosten von der Kasse bewilligt worden sein.
Dürfen alle Ärzte Cannabis verschreiben?
Ja, alle Ärzte, die Betäubungsmittel verschreiben dürfen/können, dürfen auch Cannabisblüten, Cannabisextrakte und cannabisbasierte Medikamente verschreiben. Wichtig zu wissen: Nur die beiden verfügbaren Fertigarzneimittel können „konventionell“, also in Originalverpackungen mit Dosierungsangabe etc. verschrieben werden. Bei allen anderen Anwendungsformen muss man sich an den Vorgaben der offiziellen Monographien des Deutschen Arzneimittel-Codex (DAC) bzw. des Neuen Rezepturformularium (NRF) orientieren.
Muss ich das bei der Krankenkasse beantragen?
Ja und nein. Patienten, bei denen Beschwerden behandelt werden sollen, für die es ein zugelassenes Fertigarzneimittel gibt, müssen keinen Antrag stellen. Für alle anderen gilt, dass sie vor der ersten Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung einen positiv bewilligten Antrag benötigen.
Wie wird medizinisches Cannabis eingenommen?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Die Inhalation mithilfe eines Vaporisators gehört sicher nicht zu den besten. Denn wegen der sehr schnellen Anflutung der Wirkstoffe in Blut und zentralem Nervensystem sowie den sehr hohen Spitzenkonzentrationen an THC im Blut ist diese Methode nicht empfehlenswert. Sinnvoller ist ein Mundspray, mit dem THC und CBD über die Mundschleimhaut aufgenommen werden. Auch die orale Einnahme von cannabishaltigen, öligen Tropflösungen oder Kapseln, bei denen THC über den Darm resorbiert wird, machen Sinn.
Zu welchen Nebenwirkungen kann es kommen?
Cannabis hat ein breites Wirkspektrum – genauso groß ist das Spektrum der Nebenwirkungen. Es kann zum Beispiel zu Schwindel, Synkopen, Mundtrockenheit, Übelkeit, Müdigkeit, Schlafstörungen, Euphorie, Erbrechen, Orientierungsstörungen, Benommenheit, Verwirrtheit, Angst, Gleichgewichtsstörungen, Leistungsabfall, Halluzinationen, Tachykardie und Blutdruckabfall kommen. Die gute Nachricht: Schwerwiegende und bleibende Organschädigungen sind selbst in hohen Dosen nicht zu erwarten. Treten Nebenwirkungen auf, bekommt man diese mit einer Dosisanpassung meist in den Griff.
Weitere Informationen zum Thema enthält die Broschüre „Cannabis in der Schmerzmedizin. Eine Patienteninformation der Deutschen Schmerzliga“, anzufordern bei: Deutsche Schmerzliga e.V., Postfach 74 01 23, 60570 Frankfurt am Main. Zum kostenlosen Download steht die Broschüre bereit unter https://schmerzliga.de/broschueren/