Alarmsignal Tinnitus: Wenn Ohrgeräusche quälen

Ständige Ohrgeräusche wie Pfeifen, Klingeln oder Rauschen quälen Millionen Menschen. Doch es gibt Mittel und Wege, dem lästigen Tinnitus den Ton abzudrehen.

Eine Frau hält ihre Hand ans Ohr.

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Schon Martin Luther klagte über ein „groß verdrießlich, ungewöhnlich Brausen und Klingen“ im Ohr, und auch Ludwig van Beethoven quälte Tag und Nacht das Ohrensausen. Heute gilt Tinnitus als Volksleiden – schätzungsweise etwa 10 Millionen Menschen in Deutschland sind mehr oder weniger stark betroffen. Viele fühlen sich von dem anhaltenden Pfeifen, Brummen oder Rauschen im Kopf so beeinträchtigt, dass sie sich mit der Zeit immer mehr aus dem sozialen Leben zurückziehen. Häufige Folgen sind zudem Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und depressive Verstimmungen.

Falsche Töne vom Gehirn

Tinnitus ist eine subjektive Geräuschempfindung, die nur von den Betroffenen gehört wird. Die „falschen“ Töne entstehen nicht im Ohr, sondern im Gehirn als Folge fehlverarbeiteter Hörreize. Zu den häufigsten Ursachen zählen extreme Lärmbelastungen – wie das regelmäßige Hören sehr lauter Musik– und die nervliche Belastung durch Dauerstress. Seltener sind organische Erkrankungen im Ohr Auslöser von Tinnitus.

Bei Ohrgeräuschen rasch handeln

Wenn Ohrgeräusche akut auftreten und länger als einen Tag andauern, handelt es sich um einen medizinischen Eilfall, der unbedingt ärztlich abgeklärt werden sollte. Der Hals-Nasen-Ohrenarzt kann eine eventuelle organische Krankheit feststellen und gegebenenfalls gezielt behandeln.

Bei akutem Tinnitus werden entzündungshemmende und durchblutungsfördernde Medikamente gegeben – dies kann mit Infusionen, Injektionen oder Tabletten geschehen. Die Mittel zielen darauf ab, die Fließfähigkeit des Blutes zu verbessern, um eine optimale Nährstoffversorgung der Hörzellen zu gewährleisten.

Den Tinnitus verdrängen lernen

Aber auch bei chronischem Tinnitus (länger als drei Monate) bestehen gute Chancen auf Besserung. Die Therapiemöglichkeiten sind heute so vielfältig, dass den meisten Betroffenen geholfen werden kann. Selbst wenn es nicht zu einer vollständigen Heilung kommt, die Ohrgeräusche also nicht ganz verschwinden, verliert auch ein zunächst als sehr belastend empfundener Tinnitus bei konsequenter Behandlung zunehmend an Intensität.

In der Regel werden verschiedene Behandlungsmethoden kombiniert – ein bewährtes Programm ist die „Tinnitus-Bewältigungs-Therapie“. Dabei lernen die Betroffenen, besser mit den Ohrgeräuschen umzugehen und diese allmählich aus dem Bewusstsein zu verdrängen. Zu den typischen Maßnahmen im Rahmen einer Bewältigungs-Therapie gehören Aufklärung und Beratung (das sogenannte Counseling), Stressbewältigungstraining, Entspannungstechniken und Verhaltenstherapie sowie der Einsatz sogenannter Noiser: Diese kleinen Apparate ähneln einem Hörgerät und produzieren ein leises, angenehmes Geräusch (zum Beispiel Blätterrauschen, Vogelgezwitscher), das den Tinnitus maskieren und aus der bewussten Wahrnehmung verdrängen kann.

Als begleitende Maßnahme bei akutem und chronischem Tinnitus kann die Einnahme eines Ginkgo-Präparats sinnvoll sein. Untersuchungen deuten darauf hin, dass Ginkgo die Bildung neuer Verknüpfungen zwischen den grauen Zellen fördern und damit das Gehirn anpassungsfähiger machen kann – so könnte ein Ginkgo-Extrakt die Wirksamkeit der Tinnitus-Bewältigungs-Therapie unterstützen.

Tinnitus-Counseling mit einer App

Obwohl das Counseling, also die ausführliche Aufklärung und praktische Beratung des Patienten zu seinem Tinnitus, in der offiziellen S3-Leitlinie zur Behandlung von Tinnitus als Erstintervention empfohlen wird, ist die Mehrheit der Betroffenen dahingehend unterversorgt. Und das hat einen entscheidenden Grund: Im laufenden Praxisbetrieb ist das Counseling kaum umsetzbar. Es fehlt an Kapazitäten bei Ärzten und Psychotherapeuten, die auf Tinnitus-Counseling spezialisiert sind. Deshalb ist eine digitale Ergänzung der ärztlichen Beratung eine interessante Option.

Dabei ersetzt die App keinen Arzt, sondern erweitert das Therapiespektrum und ergänzt die psychotherapeutische Betreuung von Tinnitus-Patienten. Großer Vorteil: Die Therapie ist jederzeit und überall verfügbar, kann wiederholt werden und befähigt Patienten, sich aktiv für die eigene Gesundheit einzusetzen.

Wann übernimmt die Krankenkasse die Kosten der App?

Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) bekamen gesetzlich Versicherte Anspruch auf die Anwendung und Erstattung von geprüften Gesundheits-Apps. Durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) werden die Kosten aber nur für digitale Gesundheits-Anwendungen (DiGA) übernommen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft wurden und im DiGA-Verzeichnis gelistet sind. Dieses enthält verordnungsrelevante Informationen u. a. zu Anwendungsgebieten, Kontraindikationen und Altersbereich der geeigneten Patientinnen und Patienten. DiGAs werden wie Arzneimittel über das rote Rezept mittels der zugehörigen Pharmazentralnummer (PZN) verordnet. Alternativ kann sich die Patientin oder der Patient auch direkt an die Krankenkasse wenden und einen Antrag auf Nutzung einer DiGA stellen.