Wem nützt die Abnehmspritze?

Rund jeder fünfte Mensch in Deutschland leidet an krankhaftem Übergewicht (Adipositas). Adipositas ist ein Hauptrisikofaktor für schwere Erkrankungen wie etwa Diabetes, Herzinfarkt, Fettleber und Darmkrebs. Trotz der ernsten Folgen des Übergewichts schaffen es viele adipöse Menschen nicht, ihren Lebensstil nachhaltig zu verändern. Als möglicher Ausweg gilt die sogenannte „Abnehmspritze“. Wer kann von dem Medikament profitieren?
Die Zahl der Menschen mit krankhaftem Übergewicht steigt seit Jahren stetig an. Manche Mediziner sprechen deshalb auch von einer „Adipositas-Epidemie“ – obwohl Übergewicht eigentlich nicht ansteckend ist. Immer mehr Menschen mit Adipositas fragen sich derzeit, ob die Abnehmspritze eine Lösung für ihr Gewichtsproblem sein könnte. „Die Folgen dieser Adipositas-Epidemie für jeden einzelnen Betroffenen, aber auch für uns als Gesellschaft sind katastrophal“, erklärt Professor Dr. med. Axel Dignaß, Chefarzt der Medizinischen Klinik I am Agaplesion Markus Krankenhaus in Frankfurt. Die direkten und indirekten Kosten belaufen sich laut der Adipositas Gesellschaft auf rund 63 Milliarden Euro pro Jahr.
„Aus unserer Behandlungserfahrung in der Gastroenterologie wissen wir: Lebensstilveränderungen sind langwierig und viele der Betroffenen schaffen es nicht, ein gesundes Gewicht zu erreichen oder längerfristig zu halten“, so Dignaß. Dabei ist eine Gewichtsabnahme lebensverlängernd, wie auch immer sie erreicht wird. „Auch bei medikamentöser oder operativer Hilfe ist mit den positiven Effekten des gesenkten Gewichts zu rechnen. Wenn in Deutschland weniger Menschen Übergewicht haben, ist das nicht nur für die Patientinnen und Patienten selbst ein Gewinn, sondern auch für Gesundheitssystem und Volkswirtschaft.“
Die Abnehmspritze als Unterstützung
„Das erste Mittel der Wahl bei Übergewicht muss immer eine Ernährungsumstellung und Lebensstilveränderung sein“, betont Professorin Dr. med. Birgit Terjung, Mediensprecherin der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Dafür empfehle die DGVS eine überwiegend pflanzenbasierte und mediterrane Ernährung ebenso wie regelmäßige Bewegung. „Dennoch: Auch wir wissen, dass Adipositas mitnichten leicht zu bekämpfen ist – es ist und bleibt eine Krankheit und Betroffene müssen alle medizinische Hilfe erhalten, die sie von uns bekommen können“, so Terjung.
„Vor diesem Hintergrund kann und wird die medikamentöse Therapie mit GLP-1-Rezeptoragonisten – der Wirkstoffgruppe der Abnehmspritze – eine gute und sinnvolle Unterstützung sein“, erklärt Axel Dignaß. Derzeit steht die Abnehmspritze allerdings nur Menschen zur Verfügung, die bereits unter Begleit- und Folgeerkrankungen des Übergewichts wie vor allem Diabetes leiden. Sobald der Wirkstoff in Deutschland ausreichend verfügbar ist – noch gibt es Lieferengpässe –, wird er mehr Menschen im Rahmen medizinischer Behandlungen angeboten werden können, so die Prognose des Experten. „Dennoch: Angesichts der großen Anzahl von Menschen mit Adipositas sprechen wir auch von einem Kostenfaktor, der gesundheitspolitische Diskussionen mit sich bringen wird“, betont Dignaß.
Die Vorteile der GLP-1-Rezeptoragonisten
Die Gewichtsreduktion mit Hilfe von GLP-1-Rezeptoragonisten bringe zahlreiche Verbesserungen bei gastroenterologischen Erkrankungen wie der Fettleber oder der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD), erklärt Professor Dignaß: „Die positiven Kollateraleffekte der Abnehmspritze sind in der Gastroenterologie von großer Bedeutung. Weniger Entzündungen und die wiederhergestellte Insulinsensitivität zeigen einen deutlichen Einfluss auf Fettlebererkrankungen.“ Hoffnung bestehe auch für Patient*innen mit entzündlichen Darmbeschwerden wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa. Hier zeigen Studiendaten aus den USA, dass Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Diabetes, die mit GLP-1-Rezeptoragonisten behandelt wurden, weniger häufig operiert werden müssen.
Die Abnehmspritze mit einem GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid kann aber auch einige unangenehme Nebenwirkungen haben. Viele Anwender*innen berichten über Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Verstopfungen oder Durchfall. Zumeist lassen diese Beschwerden mit der Zeit nach. Die Therapie beginnt in der Regel mit einer niedrigen Dosis, die allmählich erhöht wird. In seltenen Fällen sind schwere Nebenwirkungen möglich wie etwa eine Bauchspeicheldrüsenentzündung, Sehstörungen oder allergische Reaktionen. Deshalb gilt: die Abnehmspritze unbedingt nur unter ärztlicher Betreuung anwenden und niemals auf eigene Faust beschaffen, um vermeintlich schnell mal eben ein paar Kilos abzuspecken!