Hämophilie bei Frauen: Wie eine moderne Therapie helfen kann

Vanessa hat Hämophilie A. Bei Frauen tritt die unheilbare Blutgerinnungsstörung äußerst selten auf. Vanessa ist eine von geschätzt zehn Patientinnen in Deutschland. Seit 2021 wird sie mit einer Antikörper-Therapie behandelt.
Hämophilie A kommt bei Mädchen und Frauen so selten vor, dass selbst erfahrene Ärzte und Ärztinnen oft erst einmal stutzen, wenn Vanessa sich mit den typischen Symptomen vorstellt. Frauen sind meist nur Überträgerinnen von Hämophilie A und selbst kaum merklich betroffen. Der Grund: Die Erkrankung wird auf dem X-Chromosom vererbt, sodass Frauen diesen Defekt gewöhnlich mit dem zweiten X-Chromosom ausgleichen können. Anders als Männer, die nur ein X-Chromosom haben. Daher sind deutlich mehr Männer von der Blutgerinnungsstörung betroffen. In Deutschland sind beispielsweise an Hämophilie A circa 5.000 Menschen erkrankt, darunter geschätzt lediglich zehn weibliche.
Hämophilie bei Mädchen und Frauen: ein langer Weg bis zur Diagnose
Bei Vanessa war schon früh aufgefallen, dass etwas nicht stimmt: Als sie als kleines Mädchen zu krabbeln begann, bildeten sich schwarzblaue Flecken auf ihrer Brust – riesige Hämatome, die nur schwer heilten. Die Kinderärztin bekam zwar den richtigen Befund aus der Blutuntersuchung. „Aber sie dachte, sie hätte sich geirrt und sagte nichts“, erzählt Vanessa. Die seltene Diagnose wurde erst einige Zeit später in einer Klinik gestellt und ausgesprochen.
Auch Vanessas Vater, bei dem sie aufwuchs, war hämophil. Als der alleinerziehende Mann verstarb, war Vanessa gerade einmal zwölf Jahre alt. Für das Mädchen ging eine Welt unter. „Ich war ein Papa-Kind“, erinnert sie sich, viel Kontakt zur Mutter hat sie bis heute nicht. Immerhin konnte der Vater ihr noch beibringen, wie sie am besten mit ihrer Gerinnungsstörung umgeht. Denn nicht nur Wunden und Stöße sind für Vanessa gefährlich. Spontane Blutungen können schwerwiegende Folgen für ihre Gesundheit haben. Noch vor der Schule musste Vanessa mehrmals in der Woche morgens schnell zum Arzt, um sich die Spritze in die Vene geben zu lassen, die für Blutgerinnung sorgte und ihr damit ein wenig Sicherheit bot.
Moderne Behandlungen ermöglichen mehr Lebensqualität
Erste Therapieansätze zur Behandlung von Hämophilie A mit aus Plasma hergestellten Gerinnungsfaktoren gibt es seit den 1970ern. Erst seit wenigen Jahren existieren Therapien mit einem subkutan verabreichten Antikörper wie auch eine erste Gentherapie. Daneben wird immer weiter intensiv geforscht. Auch Vanessa profitiert inzwischen von den Vorteilen einer nicht-Faktor-basierten Therapie. „Solch innovative Therapien arbeiten mit einem subkutan verabreichten Antikörper. Die Wirkstoffe verfügen über eine längere Halbwertszeit, was die Anwendungsabstände deutlich verlängern kann“, so Dr. Georg Goldmann, Facharzt für Transfusionsmedizin und Hämostaseologie am Universitätsklinikum Bonn. Er rät bei seltenen Erkrankungen wie der Hämophilie A eindringlich, ein auf diese Erkrankung spezialisiertes Behandlungszentrum auszuwählen, auch wenn das oft nicht in der Nähe des Wohnortes gefunden wird.
Vanessa wurde 2021 von ihrem Arzt auf die moderne Therapie mit einem Antikörper aufmerksam gemacht. Das neue Medikament muss nur alle vier Wochen subkutan, also unter die Haut, gespritzt werden. „Man hat mir in der Arztpraxis gezeigt, wie ich unter die Haut spritzen muss“, erzählt sie stolz darauf, dass sie das allein schafft – und enorm erleichtert, dass die Therapie nicht nur einfacher ist, sondern ihr auch mehr Sicherheit gibt. Moderne Behandlungsmöglichkeiten bedeuten für Betroffene mit schwerer oder mittelschwerer Hämophilie A eine erheblich gesteigerte Lebensqualität – und das bei einem guten Blutungsschutz.
Neben der erleichterten Anwendung eröffnete die Therapieumstellung Vanessa neue Möglichkeiten: Sie betreibt Kraftsport und hat sich in Gedenken an ihren früh verstorbenen Vater ein Tattoo stechen lassen, dem bereits weitere folgten. Früher wäre das undenkbar gewesen. Außerdem habe sie nun „weniger Gelenkschmerzen und weniger Sorgen, sich im Alltag zu verletzen – ein ganz großer Punkt!“
Die alten Narben können endlich verheilen
Einige Monate vor der Therapieumstellung lernte Vanessa ihren Partner Daniel kennen. „Am Anfang durfte ich meine Freundin noch nicht einmal leicht anfassen, da sie sofort blaue Flecken bekam. Das ist heute viel besser geworden“, erinnert er sich an den deutlich spürbaren Unterschied mit Vanessas neuer Therapie. Für die junge Frau hat sich seit der Therapieumstellung einiges zum Guten geändert; auch Dinge, mit denen sie vorher nicht gerechnet hat: „Gerade die Narben durch das ständige Spritzen in die Venen waren einfach nicht schön, besonders wenn ich mal im Sommer ein Kleid oder Top anziehen wollte.“ Seit der Umstellung verblassen die Narben. Ganz verschwinden werden sie allerdings nicht, sie werden Vanessa immer an die alte Zeit erinnern.
Neue Medikamente bei Hämophilie A und B
Die Hämophilie ist eine Erbkrankheit, bei der die Blutgerinnung gestört ist. Das Blut enthält mehrere Bestandteile, die bei einer Verletzung dafür sorgen, dass sich schnell ein Blutgerinnsel bildet und so die Blutung gestoppt wird. Daran sind verschiedene Eiweiße beteiligt, die sogenannten Gerinnungsfaktoren. Wenn einige davon fehlen, gerinnt das Blut langsamer oder gar nicht. Schon eine kleine Verletzung kann dann zu größeren Blutverlusten führen, daher auch der Name "Bluterkrankheit".
Es gibt verschiedene Arten der Hämophilie, abhängig davon, welcher Gerinnungsfaktor fehlt:
- Bei der Hämophilie A ist das Gen defekt, das zur Herstellung von Faktor VIII benötigt wird.
- Bei der Hämophilie B ist das Gen defekt, das zur Herstellung von Faktor IX benötigt wird.
In der Behandlung von Hämophilie A und B hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Zu nennen sind beispielsweise der bei Hämophilie A zugelassene Antikörper Emicizumab sowie zwei Gentherapeutika – eines für Hämophilie A und eines für Hämophilie B. Mit dem Antikörper Marstacimab gibt es seit November 2024 eine weitere Innovation mit einem ganz neuen Wirkprinzip, das nach den bisherigen Studienergebnissen sowohl bei Hämophilie A als auch bei Hämophilie B funktioniert. Daher ist das neue Medikament für beide Hämophilieformen zugelassen – auch das war eine Innovation. Bei Hämophilie B ist Marstacimab sogar die erste subkutane Therapie überhaupt. Daneben gibt es mit Concizumab einen weiteren Antikörper aus der gleichen Wirkstoffklasse. Er ist seit Ende 2024 ebenfalls bei Hämophilie A und B zugelassen. Zu den neuen Therapieoptionen bei Hämophilie A zählt außerdem das Faktor-VIII-Präparat Efanesoctocog alfa. Es wird einmal pro Woche appliziert und kann bei Patienten jeden Alters und Hämophilie-Schweregrades eingesetzt werden.