Der Assistenzhund ist ein echter
Freund und Helfer
Hunde sind nicht nur beste Freunde des Menschen, sie können uns auch auf besondere Weise im Alltag helfen – zum Beispiel als Assistenzhund. In diesem Beitrag stellen wir vor: den Epilepsiehund Merlin und den Mobilitätsassistenzhund Xantho.
Merlin kann tatsächlich bestimmte Ereignisse vorhersehen. Kein Wunder, dass der kleine Havaneser nach dem berühmten Seher aus der Artussage benannt ist. Seit zwei Jahren lebt der Assistenzhund Merlin bei Corinna, die an Epilepsie leidet. Er warnt sie in der Regel ein paar Minuten, bevor sie einen epileptischen Anfall bekommt – und verhindert dadurch nicht nur Verletzungen, sondern manchmal sogar lebensbedrohliche Situationen. Ein gutes Beispiel dafür sind Treppenstufen. Bevor Merlin bei ihr war, hat Corinna Treppen so gut es ging gemieden: „Wenn ich einen starken Anfall direkt auf einer Treppe bekomme, kann das böse für mich enden. Seit Merlin bei mir ist, gab es keine solche Situation mehr. Denn in etwa 90 Prozent der Anfälle nehme ich wahr, dass Merlin mich im Voraus warnt. Bei den restlichen 10 Prozent übersehe ich seine Zeichen. Er stupst mich an, und dann habe ich in der Regel ein paar Minuten Zeit, mich irgendwo hinzusetzen und mich abzusichern. Auf Treppen gehe ich dann natürlich nicht mehr, bis der Anfall vorüber ist.“
Es klingt wie ein Wunder, aber tatsächlich verfügen manche Hunde über diese erstaunliche Fähigkeit: Sie hören eine gering veränderte Atemgeschwindigkeit bei ihren Schützlingen, die mit der reduzierten Sauerstoffsättigung im Blut vor einem epileptischen Anfall zu tun hat. So können sie Epileptiker warnen, bevor eine Notsituation eintritt. Hunde mit dieser Fähigkeit sind sehr sensibel und reagieren überdurchschnittlich gut auf kleinste Veränderungen. Die Fähigkeit, einen epileptischen Anfall vorab zu bemerken, ist angeboren, Hunde können sie nicht erlernen. Welpen mit dieser Fähigkeit beginnen bereits im Alter von drei Wochen, epileptische Anfälle einige Minuten im Voraus zu hören – und das ohne jegliches Training.
Merlin kann sogar den Notfallknopf drücken
Petra Köhler beschreibt, wie schwierig es ist, geeignete Hunde zu finden: „Wir sind ständig in Verbindung mit Züchtern und werden gerufen, wenn ein Welpe auffällig sensibel und emphatisch ist“, sagt die Ausbilderin beim Deutschen Assistenzhundezentrum. „Dann führen wir entsprechende Tests durch und versuchen, die Fähigkeit durch positive Verstärkung zu fördern. Stellt sich heraus, dass der Hund tatsächlich vor epileptischen Anfällen warnen kann, kommt er zu uns in die Ausbildung und erlernt noch viele weitere Hilfestellungen für Menschen, die an Epilepsie leiden.“
Als Merlin damals in die Obhut des Deutschen Assistenzhundezentrums kam, begann Corinna mit ihm zusammen die Ausbildung zum Epilepsiehund-Team. Die beiden gingen zwei Jahre lang einmal die Woche in den Unterricht von Petra Köhler und erhielten Übungsaufträge, die sie dann den Rest der Woche alleine durchführten. Heute kann Merlin zum Beispiel neben seiner natürlichen Begabung, drohende Anfälle zu hören und anzuzeigen, einen Notfallknopf drücken, der eine sehr gute Freundin von Corinna alarmiert, wenn die 45-jährige Bürokauffrau einen epileptischen Anfall erleidet. Außerdem erinnert der Assistenzhund seine Teampartnerin an die Einnahme ihrer Medikamente und holt ihr diese auch bei Bedarf.
Die Tiere spenden Nähe und Wärme
Über solche nicht angeborenen, erlernbaren Fertigkeiten verfügen auch so genannte Epilepsieanzeigehunde. Sie können zwar nicht vor dem epileptischen Anfall warnen wie Merlin, aber sie können ihrem Teampartner zumindest nach einem Anfall helfen. Petra Köhler beschreibt weitere Aufgaben dieser Hunde: „Sie holen auf Kommando die Notfallmedikamente, damit Angehörige bei den betroffenen Personen bleiben können. Nach dem Anfall spendet der Vierbeiner Nähe und Wärme und trägt so zur Beruhigung bei. Anschließend kann der Epilepsieanzeigehund auf Kommando das Handy bringen. Passiert der Anfall in der Öffentlichkeit, bleibt der Vierbeiner in der Nähe seines Partners.“
Sowohl Epilepsiewarnhunde wie Merlin als auch Epilepsieanzeigehunde haben laut Studien auch allgemein einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf. Die meisten der an solchen Studien teilnehmenden Epilepsie-Betroffenen geben an, dass sich durch den Hund die Häufigkeit, Dauer und Intensität der Anfälle verringert. Sie berichten über eine große Verbesserung ihrer Lebensqualität. Corinna bestätigt das nachdrücklich: „Merlin ist rund um die Uhr bei mir und gibt mir ein Gefühl der Sicherheit. Meine Angst vor den Anfällen ist viel geringer geworden, weil Merlin mich ja rechtzeitig warnt und ich mich darauf vorbereiten kann. Seit er bei mir ist, traue ich mir wieder viel mehr zu und unternehme wieder richtig viel, natürlich alles immer in Begleitung meines kleinen Zauberers.“
Emily und ihr Mobilitäts-Assistenzhund Xantho
Emily ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Ohne Xantho, ihren Königspudel, könnte sie nicht selbstständig leben. Seit die beiden vor ein paar Monaten in eine eigene kleine Wohnung umgezogen sind, ist ihre Bindung noch stärker geworden. Vorher wohnten sie bei Emilys Eltern, die der 24-jährigen natürlich viel im Alltag geholfen haben. Jetzt können die beiden das allein. An schlechten Tagen schafft Emily es nicht, sich zu waschen und selbstständig anzuziehen. Dann hilft Xantho: Der kluge Assistenzhund kann sogar einen Reißverschluss auf- oder zumachen. Auch die Auswahl ihrer Kleidung überlässt Emily oftmals Xantho. Denn seit ihrem Unfall 2018, als sie ein schweres Schädelhirntrauma erlitt, funktioniert ihr Geruchssinn nicht mehr hundertprozentig. Deshalb überprüft der Pudel die Kleidung, beziehungsweise stupst sie an dem Körperteil an, für den ein frisches Kleidungsstück gebraucht wird.
Einmal pro Woche fährt Emily mit dem Taxi zur Physio. Ihre barrierefreie Einliegerwohnung ist ebenerdig, und über den stufenlosen Eingang gelangt sie problemlos zum Auto. Xantho bleibt dann alleine zu Hause. Wenn Emily zurückkommt, freut sich der Assistenzhund überschwänglich, als wäre sie mehrere Tage weg gewesen. „Das ist einfach das Schöne an einem Assistenzhund, er freut sich immer auf dich, und er liebt es, dir zu helfen. Man muss ihn auch nicht darum bitten, Xantho ist ja sogar kreuzunglücklich, wenn er die Verantwortung für mich zeitweise mal abgeben muss“, beschreibt Emily den Unterschied zwischen der Hilfe des Hundes und menschlicher Unterstützung.
Bewusste Befehlsverweigerung
Ganz zu Beginn ihrer gemeinsamen Ausbildung zum Assistenzhunde-Team hatte die damals 20-Jährige ein Erlebnis mit dem gerade erst dem Welpenalter entwachsenen Xantho, das ihr diese bedingungslose Hilfsbereitschaft zum ersten Mal deutlich machte: „Wir waren nur zu zweit beim Training am Flughafen. Es war voll und ich war sehr nervös. Prompt sind mir meine Sonnenbrille, mein Geldbeutel und mein Schlüssel runtergefallen. Bevor ich den Schaden überhaupt registriert hatte, fing Xantho schon von alleine an, alles wieder aufzusammeln und mir auf den Schoß zu legen. Er macht das ohne Kommentar, ohne Bewertung, ohne Mitleidsbekundung, einfach weil es ihn glücklich macht, mir zu helfen.“
Emily und Xantho können inzwischen auch alleine im Park spazieren gehen. Früher brauchte Emily immer Hilfe von einem Menschen, wenn sie aus dem Haus wollte. Falls die Ampel auf dem Weg in den Park Rot zeigt, stoppt Xantho und setzt sich neben den Rollstuhl. „Auch wenn kein Auto weit und breit in Sicht ist und ich ihn auffordern würde, die Straße bei Rot zu überqueren, würde Xantho das nicht machen“, erläutert Emily das Verhalten des Hundes. Diese gewollte Befehlsverweigerung ist eine wichtige Aufgabe von Assistenzhunden, besonders wenn es um Stimmungen und den körperlichen Zustand ihres Teampartners geht. Sie spüren meist deutlich früher, wenn dieser seine Leistungsgrenzen erreicht oder auch wenn eine Schmerzattacke naht. Dann sorgen sie – oft gegen den ausdrücklichen Befehl ihres Haltenden – dafür, dass dieser die kraftraubende Tätigkeit unterbricht und sich ausruht. Sie verweigern ihm einfach den Dienst, legen sich irgendwo in den Weg und zwingen so ihren Schützling, zu verweilen. Emily hat gelernt, die Zeichen von Xantho zu deuten: „Seine Stärke ist, dass er so sensibel ist. Wenn mein Kreislauf beispielsweise zu schlecht ist, lässt er mich nicht zur Physio gehen. Er versperrt mir den Weg und besteht darauf, dass ich mich ausruhe. Dann weiß ich genau, wenn ich jetzt trotzdem gehe, wird mich die Therapeutin unverrichteter Dinge nach Hause schicken, und ich werde mich den Rest des Tages körperlich noch schlechter fühlen.“